Transformationen des Historischen

Organisatoren
Dominik Fugger, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.03.2014 - 07.03.2014
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Von
Dominik Fugger, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt

Am 6. und 7. März 2014 fand am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt auf Einladung von Dominik Fugger eine Tagung unter dem Titel „Transformationen des Historischen“ statt. Der wissenschaftliche Ansatz der Veranstaltung bestand darin, Geschichtsschreibung ausdrücklich als eine Reaktion auf ein Erlebnis, nämlich die Erfahrung von Geschichte – oder vielmehr Geschichtlichkeit – zu verstehen und diese Erfahrung in ihren Voraussetzungen und produktiven (auch formativen) Wirkungen zu untersuchen und wissenschaftlich beschreibbar zu machen. Das bedeutet auch, die Praxis eines „Geschichtsproduzenten“ im 19. Jahrhundert, die ja nicht isoliert im Raum steht, sondern ihre Plausibilität unter Berufung auf ein unterliegendes Sinnkonzept immer wieder unter Beweis stellen muss, sozusagen von ihrem Fundament her zu betrachten.

Die titelgebenden Transformationen des Historischen bezeichnen den Bogen von dem persönlichen Erleben des Geschichtsschreibers, den zeittypischen Voraussetzungen und unmittelbaren, auch existentiellen Wirkungen eines solchen Erlebnisses über die produktive Resonanz und die Spuren des Erlebnishaften im Werk selbst, bis hin zu dessen Rezeption. Mit Rücksicht auf den Diskussionszusammenhang während der Veranstaltung konzentrierte sich die Tagung mit Ferdinand Gregorovius (1821–1891) zunächst auf einen einzelnen Historiker.

Zum Auftakt unternahm es DOMINIK FUGGER (Erfurt), die Erlebnisqualität von Gregorovius’ Zugang zur Geschichte unter Rückgriff auf Theorieangebote von Georg Simmel und William James schärfer zu fassen und vor dem Hintergrund von Gregorovius’ intellektueller und lebenspraktischer Ausgangslage als sinnstiftende Erfahrung begreifbar zu machen, die nicht ohne Auswirkungen auf das Werk selbst bleiben konnte. Besonderes Gewicht legte er dabei auf Gregorovius’ komplexes und brüchiges Verhältnis zum Protestantismus und seine Begegnung mit der Hegelschen Philosophie.

JENS HALFWASSEN (Heidelberg) ordnete in seinem Beitrag Gregorovius’ Königsberger Dissertation Grundlinien einer Ästhetik des Plotin (lat. 1843, dt. 1855) in die zeitgenössische Beschäftigung mit dem Neuplatonismus ein. Neben der besonderen Qualität der Arbeit zeigte sich dabei der prägende Einfluss Hegels – in der Vermittlung durch Karl Rosenkranz – auf das Denken des nachmaligen Historikers. Wie tief Gregorovius in dieser Lebensphase tatsächlich in die philosophischen Debatten der Zeit eingedrungen ist, belegte Halfwassen eindrücklich.

Im Anschluss stellte PETER KUHLMANN (Göttingen) Gregorovius’ erstes genuin historiographisches Werk vor, die kurz nach der Revolution in Königsberg entstandene Geschichte des römischen Kaisers Hadrian und seiner Zeit. Kuhlmann analysierte sie vor dem Hintergrund der zeittypischen Auffassung des Gegenstandes und betonte zugleich, dass sich Gregorovius auf ein seinerzeit wenig beforschtes Feld begeben habe. Aufschlussreich war zudem der Vergleich dieses historiographischen Erstlings mit der einschneidenden Überarbeitung, die Gregorovius für die Neuausgabe im Jahr 1884 vornahm.

Der Komplexität und Originalität von Gregorovius’ wissenschaftlicher Annäherung an die Geschichte, wie sie sich in seinem Reisebuch Corsica (EA 1854) erstmals zeigt, widmete WOLFGANG STRUCK (Erfurt) seinen Vortrag. Die Kombination einer eher konventionellen Geschichtserzählung mit der berichthaft vorgetragenen Erfahrung des Ortes und die kunstvolle Collage aus unterschiedlichen Darstellungselementen vermitteln ein in besonderer Weise raumgebundenes Geschichtserleben – ein Befund, der über das gewählte Beispiel hinaus anregend erscheint.
STEFANIE ALBERT (Erfurt) wies am Verhältnis des Historiographen zum Judentum, insbesondere seinem vielgelesenen Aufsatz „Der Ghetto und die Juden in Rom“, exemplarisch die Folgen auf, die Gregorovius’ Verhältnis zur Geschichte für die Annäherung an den Gegenstand und dessen schreibende Verarbeitung nach sich zog.

Einen wichtigen Beitrag zur kaum erforschten Wirkungsgeschichte des Historikers lieferte JULIA ILGNER (Freiburg im Breisgau/Hamburg), indem sie die breite Rezeption beleuchtete, die Gregorovius’ Biographie der Lucrezia Borgia in der Belletristik der Weimarer Zeit erfahren hat. Die Vielzahl von Autoren, die sich auf Gregorovius beriefen und von seinem Werk anregen ließen, war bislang vollkommen unbekannt und belegt exemplarisch die weithin unbeachtete kulturelle Nach- und Breitenwirkung des Gregoroviusschen Gesamtwerks.

KARSTEN LOREK (Erfurt) untersuchte mit der Verarbeitung von Gregorovius’ Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter durch Thomas Mann in dessen Erwähltem ein prominentes Rezeptionsbeispiel. Dabei stellte Lorek die These auf, dass Gregorovius’ Römische Geschichte für Thomas Mann nicht nur ein Materialsteinbruch war, aus dem er sich für seine Zwecke bediente, sondern dass man den unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs entstandenen Erwählten geradezu als Gegenbuch zu der von philosophischem Geschichtsoptimismus getragenen Darstellung bei Gregorovius lesen kann.

Abschließend erinnerte WOLFGANG REINHARD (Freiburg im Breisgau) an die Rolle der Verlage und die Notwendigkeit der Bestreitung des Lebensunterhaltes für einen nicht durch eigenes Vermögen abgesicherten Privatgelehrten und setzte in der Abschlussdebatte damit einen biographisch-lebenspraktischen Akzent.

Der Dank des Veranstalters gilt neben den Genannten den Sektionsmoderatoren Jörg Rüpke (Erfurt), Sabine Schmolinsky (Erfurt), Wolfgang Weber (Augsburg) sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die freundliche Förderung. Ebenso herzlich sei der Erfurter Universitätsgesellschaft für ihre Förderung der abendlichen Lesung und des Empfangs gedankt.

Konferenzübersicht:

Sektion I:
Wolfgang Weber (Augsburg)

Dominik Fugger (Erfurt), Erlösung durch Verehrung und Arbeit. Ferdinand Gregorovius und die Geschichte als existentielle Erfahrung.

Jens Halfwassen (Heidelberg), Gregorovius als Leser Plotins

Peter Kuhlmann (Göttingen), Ferdinand Gregorovius’ Hadrian-Geschichte im Kontext ihrer Zeit

Sektion II:
Jörg Rüpke (Erfurt)

Wolfgang Struck (Erfurt), Zum Raum wird hier die Zeit. Gregorovius' Corsica

Stefanie Albert (Erfurt), Die immerwährenden Zeichen der Geschichte. Ferdinand Gregorovius' Darstellung des Ghettos der Juden im mittelalterlichen Rom.

Sektion III:
Sabine Schmolinsky (Erfurt)

Karsten Lorek (Erfurt), Legendarische Wirklichkeit und erdichtete Geschichte. Überlegungen zur Gregorovius-Rezeption in Thomas Manns Gregorius-Roman Der Erwählte.

Julia Ilgner (Freiburg im Breisgau/Hamburg), Der Biograph Ferdinand Gregorovius und seine literarische Rezeption

Abschlussdiskussion
Wolfgang Reinhard (Freiburg im Breisgau), Forschungsperspektiven


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Deutsch
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